Achtsamkeit in der Achterbahn auch im beruflichen Alltag

“Bitte, bitte, bitte,” fleht mein Sohn inständig. Es ist 2019. Ich kann seinem Hundeblick nicht widerstehen und weiß, dass ich damit über meine Grenzen gehe. Keine 10 Minuten später ist es um mich geschehen. Genau in dem Augenblick, in dem die Sicherheitsschranke des Fahrgeschäfts mich in meinen Sitz presst, ist alles wieder da. Die Erinnerungen von vor drei Jahren kommen hoch. Die Fahrt in einem anderen Höllenfahrgeschäft, die nicht zu Ende gehen wollte. Das “Mehr!”, das alle brüllten als ich dachte sterben zu müssen. Damals bin ich am ersehnten Ende ausgestiegen und habe Stunden gebraucht, mich und meinen Magen zu beruhigen.

Genau in dem Augenblick, in dem klar ist, dass es für mich hier und jetzt kein Entrinnen gibt, schnellt mein Stresslevel in die Höhe. Bloß raus hier! Plötzlich höre ich leise eine Stimme. Ich höre Kirsten, die Achtsamkeitstrainerin, bei der ich im Frühjahr einen Kurs gemacht habe. Ich höre: “Leiden ist Widerstand mal Schmerz”.

Meine einzige Möglichkeit, die Situation in der Achterbahn zu meistern: Nicht in den Widerstand gehen. Und so ergebe ich mich der Situation und erlebe wahrscheinlich einen meiner bewusst achtsamsten Momente im Leben. Ich lasse mich auf die Fahrt ein, lasse sie quasi durch mich hindurch fließen. Ich atme tief, fokussiere mich und lasse die Herausforderungen der Fahrt an mir vorbei ziehen.

Am Ende der Fahrt steige ich aus und kann geradeaus gehen. Ohne Achtsamkeit würde es anders aussehen. Achtsamkeit bewusst einzusetzen, hat mir Kirsten Wolff von der mindfulness-academy beigebracht. Statt auf Intuition vertrauen zu müssen, setze ich jetzt gezielt Techniken ein. Sind die wunden Punkte getroffen, schaffe ich mir innerlich Abstand. Ein enormer Mehrwert, wie ich finde. Denn Achterbahn fahren wir irgendwie ständig, besonders in unserem beruflichen Alltag.

Schaffen wir es, im Berufsleben den Stresslevel zu beruhigen und im Eifer des Gefechts einen Schritt zurückzutreten, gewinnen alle: Die Beteiligten und das Unternehmen.

Denn unter Stress passiert immer das Gleiche: Wir reagieren auf äußere Reize in unseren typischen Verhaltensmuster. Tappen wir in diese Reiz-Reaktions-Falle, wiederholen sich automatisch die Gesprächsdynamiken. Bewusste und sinnvolle Auseinandersetzungen zum Thema sind nicht mehr möglich. Überflüssige Konflikte entstehen. Diese kosten das Unternehmen und die Beteiligten Zeit, Geld und Nerven. Konflikte gehen an die Gesundheit, auch an die Gesundheit des Unternehmens.

Denn:

  • Zehn bis 15 Prozent der Arbeitszeit in jedem Unternehmen werden für Konfliktbewältigung verbraucht.
  • 30 bis 50 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit von Führungskräften werden direkt oder indirekt mit Reibungsverlusten, Konflikten oder Konfliktfolgen verbracht.
  • Fehlzeiten aufgrund betrieblicher Ängste und Mobbing am Arbeitsplatz belasten Unternehmen jährlich mit ca. 30 Milliarden Euro.
  • Die Kosten pro Mobbingfall betragen im Durchschnitt 60.000 Euro.
  • Fluktuationskosten, Abfindungszahlungen, Gesundheitskosten aufgrund inner-betrieblicher Konflikte belasten Unternehmen jährlich mit mehreren Milliarden Euro
  • Ein Prozent der Mitarbeiterkosten p. a. gehen für unverarbeitete Konflikte verloren.
  • Ca. 25 Prozent des Umsatzes hängen von der Kommunikationsqualität ab.

Im Zusammenhang mit diesem Datenmaterial ist es nicht verwunderlich, dass die KPMG Studie 2009 ein Reduktionspotenzial bei Konfliktkosten von mindestens 25 Prozent pro Jahr zeigt.

Achtsamkeit zahlt sich aus.